Textil-Rekonstruktionen


Wir arbeiten immer wieder auch an textilen Rekonstruktionen oder Interpretationen historischer Kleidung, deren Entstehungsprozess wir hier vorstellen möchten. Wir orientieren uns bei der Anfertigung an archäologischen Belegen oder wenn dies nicht möglich ist zumindest an den in Frage kommenden Fertigungsweisen der jeweiligen Zeit.

2023 - Etruskische Tunika (5. Jhd. v.Chr.)


Mit diesem Projekt soll die Tunika für einen Mann der Etruskerzeit nachgebildet werden. Es standen dafür keine konkreten Vorlagen in Form von Textilfunden zu Verfügung. Bei der Anfertigungsweise haben wir auf die vermutlich für die Etruskerzeit stimmigen Methoden zurückgegriffen. Die Besonderheit an diesem Projekt sind die Zierleisten an Halsauschnitt/Schulter und am Saum, die gleichzeitig mit dem leinwandbindigen Stoff gewebt worden sind. Während die Schussfäden des Stoffes in den seitlichen Ripsgeweben verdeckt weiter laufen und somit Stoff und Borte zu einer Einheit verbinden, bilden zusätzliche farbige Musterschüsse die Verzierungen auf der Oberseite der Ripsborte. Sie treten als Flottierungen im Bereich der roten und blauen Kreise an die Oberfläche und laufen sonst verdeckt im Inneren des Ripsgewebes mit. Auf der Rückseite sind die Borten ungemustert. Als Vorbild für die farbliche Gestaltung und Anordnung von Zierelementen haben wir auf Abbildungen der Tomba del Triclinio in Tarquinia (470 v. Chr.) zurückgefgiffen.

2022 - Spätantike Tunica manicata (3. Jhd.)


Bei der Anfertigung dieser Tunika wurden vermutlich das erste Mal seit dem 3. Jhd die alten Fertigungsweisen wieder komplett angewendet. Die Tunika besteht aus einem weißen Grundgewebe aus feiner Wolle in Leinwandbindung. Darin sind Zierelemente in Schussripps eingearbeitet. Die dabei verwendeten Arbeitsweisen entsprechen den vielen Textilfragmenten, die aus der Zeit der Spätantike belegt sind. Herausforderung bei dieser Arbeitsweise ist, die beiden Gewebearten zu einem harmonischen Gesamtgewebe zu verbinden. Leinwand und Schussripps weisen ganz unterschiedliche Gewebedichten und auf und ziehen sich auch sehr unterschiedlich zusammen. Vor allem die runden Konturen der Kreiselemente (Orbiculi) sind sehr anspruchsvoll.
Die Tunika wurde in drei Teilen gefertigt. Einem Mittelstück mit den Ärmeln und dem Bereich des Oberkörpers/Rückens und zwei identische Stücken, mit denen die Tunika unterhalb des Gürtels verlängert wurde. Die Fertigungsweise ist ebenfalls mit Textilfunden belegt. Diese Tuniken weisen außerdem einen eingewebten Halsschlitz auf. Das Gewebe teilt sich in zwei separate Streifen, die nach dem Halsausschnitt wieder zusammengeführt werden. Dieses Detail kann nur gefertigt werden, wenn das Textil quer gewebt wird. Also nicht in Richtung Saum zur Schulter, sondern in Richtung von Seitennaht zu Seitennaht.
Basis für die farbliche Gestaltung und Form/Anordnung der Zierelemente bilden die Bodenmosaike von Piazza Armerina.

2021 - Hallstatt No 91, No 60 + 123 und Dürrnberg No 2375-1 (Eisenzeit 1200 v.Chr. - 550 v.Chr.)


Für die Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien wurden 2021 diese vier Textilien gefertigt. Es handelt sich dabei um möglichst exakte Rekonstruktionen von kleinen in den Salzbergwerken von Hallstatt und Dürrnberg gefundenen Textilfragmenten. Dementsprechend wurde mit sehr dünnen, ungezwirnten Wollgarnen gearbeitet um die Gewebefeinheit wiederzugeben. Aus den winzigen Textilfragmenten musste außerdem die Anordnung der unterschiedlichen Farben und die Bindungsabfolge erfasst und auf eine größere Textilfläche projiziert werden.

Hallstatt-Textil No 91 weist ein komplexes Karomuster auf. Im Original ist nicht die gesamte Sequenz erhalten, sodass eine stimmige Erweiterung des Musters gefunden werden musste, die zum regelmäßig wechselnden Fischgrat-Köper passt. Das Gewebe wurde so weit vergrößert, dass der Stoff als Mantel verwendet werden kann.

Bei Halltex No 123 handelt es sich um eine brettchengewebte Borte, die als Interpretation mit dem Textil No 60 zu einem Peblos verbunden wurde. Die Borte wurde als Imitation einer sogenannten Anfangsborte an den Stoff angewebt. Halltex No 60 weist im Original ein Spinnrichtungsmuster auf, das leider aufgrund der Materialverfügbarkeit nicht rekonstruiert werden konnte.

Das Dürrnberg-Textil No 2375-1 weist ein feines Karomuster mit dünnen roten Streifen auf. Die Streifen kreuzen sich in etwa 1 cm Abstand. Das Gewebe an sich ist ein Fischgrat-Köper. Die Sequenz des Fischgrats ist allerdings nicht deckungsgleich zum Karomuster. Das kleine Textilfragment wurde zu einem großen Mantelstoff interpretiert, der als Umhang dient.